Dutzende Kraftwerke gehen vom Netz, weil sie nicht mehr rentabel sind. In Süddeutschland drohen im Winter Stromausfälle – weshalb es Planungen für den Bau eines ersten staatlichen Kraftwerks gibt.

Die Bundesnetzagentur  hält die Stromversorgung Süddeutschlands im Winter mittelfristig nicht mehr für uneingeschränkt sicher. Der Grund ist, dass immer mehr konventionelle Kraftwerke im Zuge der Energiewende aus dem Markt gedrängt werden. Deshalb empfiehlt die Aufsichtsbehörde über den Energiemarkt der Bundesregierung, den Bau eines Reservekraftwerks „administrativ“ zu veranlassen, um Stromausfälle im Winter 2017/2018 zu verhindern.

Die Ausschreibung zum Bau des ersten staatlichen Kraftwerkprojektes der Nachkriegszeit wird von der Behörde bereits vorbereitet. Das geht aus dem bislang vertraulichen neuen Bericht zur „Sicherstellung der Versorgungssicherheit mit elektrischer Energie in Süddeutschland“ hervor, den die wichtigste deutsche Energiebehörde am 7. März fertiggestellt hat. Er liegt der „Welt“ vor.

Die Stromlücke im Süden reißt immer weiter auf

Die dem Bundeswirtschaftsministerium unterstellte Bundesnetzagentur reagiert mit ihrem jüngsten Bericht zur Einschätzung der Versorgungssicherheit auf das grassierende
Kraftwerkssterben im Zuge der Energiewende.

Der Bundesverband der deutschen Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) hatte erst in dieser Woche Zahlen vorgelegt, nach denen bereits 43 Prozent aller einst geplanten Kraftwerksprojekte unsicher geworden sind. Hauptgrund dafür ist der politisch veranlasste Atomausstieg und die Verdrängung anderer konventioneller Kraftwerke durch subventionierten Ökostrom.
Der Energieverband befürchtet, dass die sicher planbaren, also wetterunabhängigen Kraftwerkskapazitäten in Deutschland bis zur Abschaltung des letzten deutschen
Atomkraftwerks im Jahre 2022 um 13.600 Megawatt zurückgehen werden.

Das entspricht einer Gesamtleistung von 14 Großkraftwerken, die dann nicht mehr zur Verfügung stehen, um Windflauten und sonnenarme Zeiten auszugleichen. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) hatte bereits bei der Vorlage des novellierten Ökostrom-Gesetzes EEG diese Woche gesagt, dass er sich als nächstes um die Situation auf dem Kraftwerksmarkt kümmern wolle.

Stromlücke von 4800 Megawatt

In ihrem jüngsten, noch unveröffentlichten Bericht bestätigt die Bundesnetzagentur denn auch der Tendenz nach die dramatische Prognose des BDEW. So erwartet die Behörde bereits für Ende kommenden Jahres eine Stromlücke von 4800 Megawatt gesicherter Leistung in Süddeutschland, die mit Hilfe von angemieteten Reservekraftwerken geschlossen werden soll.
Die Größenordnung der nötigen Kraftwerksreserve hat sich damit gegenüber dem Winter 2011/12 bereits verdreifacht. Hauptgrund für das absehbar große Versorgungsdefizit in Süddeutschland ist die geplante Abschaltung desE.on-Atomkraftwerks Grafenrheinfeld im Mai 2015, das sich wegen der Kernbrennstoff- Steuer und des Ökostrom-Vorrangs nicht mehr wirtschaftlich betreiben lässt.

Doch während die Bundesnetzagentur glaubt, dass sich der Winter 2015/16 – wenn auch nur dank des Imports von französischem Atomstrom  – noch sicher überstehen lässt, ist sie für das Folgejahr deutlich pessimistischer.

Nach ihrer Erwartung wird die Stromlücke in Süddeutschland weiter aufreißen. Wörtlich heißt es im Prognosebericht der Bundesnetzagentur: „Für den Winter 2017/2018 zeichnet sich unter Berücksichtigung der Abschaltung des AKW Gundremmingen B ein zusätzlicher Reservebedarf ab.“

Behörde bereitet bereits die Ausschreibung vor

Weil sich unter den aktuellen Bedingungen der Energiewende aber kein Investor mehr findet, der Geld in den dringend benötigten Neubau von Kraftwerken investiert, sieht die Bundesnetzagentur keine andere Möglichkeit mehr, als einen Kraftwerksneubau erstmals staatlich anzuordnen.

Im Behördendeutsch: „Angesichts der dann wiederum veränderten Erzeugungsstruktur und einem ebenfalls geänderten Netzzustand könnten Gründe für einen administrativ veranlassten Neubau eines Reservekraftwerks identifiziert werden.“

Wie aus dem Bericht weiter hervorgeht, erwartet die Bundesnetzagentur, dass die privaten Übertragungsnetzbetreiber Tennet, Amprion, 50Hertz und TransnetBW  bei der Bundesnetzagentur einen entsprechenden Antrag vorlegen werden.

Dazu werde sich die Bundesnetzagentur dann „im Anschluss an die Überprüfung der Systemanalyse“ am 2. Mai diesen Jahres äußern, heißt es in dem Bericht weiter: „Im
Anschluss daran würden die Übertragungsnetzbetreiber unverzüglich mit der Ausschreibung eines solchen Kraftwerks beginnen.“

Staat wird wohl nicht Eigentümer

Brisant: Weil für Genehmigung, Planung und Errichtung eines neuen, staatlich beauftragten Kraftwerks bis zum Winter 2017/18 nicht viel Zeit bleibt, hat die in Bonn ansässige Bundesnetzagentur bereits Vorarbeiten eingeleitet. „Um auf einen möglicherweise bestehenden Neubaubedarf für den Winter 2017/2018 vorbereitet zu sein, hat die Bundesnetzagentur mit den entsprechenden Vorarbeiten für die Durchführung des  Vergabeverfahrens begonnen“, heißt es in dem vertraulichen Bericht der Behörde.

Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik bereitet sich der Staat damit darauf vor, die Stromversorgung am bestehenden Energiemarkt vorbei selbst sicherzustellen zu müssen. Voraussichtlich wird die Bundesrepublik Deutschland aber nicht selbst Eigentümer eines neuen Reservekraftwerks. Wahrscheinlicher ist, dass Energiekonzerne oder Übertragungsnetzbetreiber die Anlage quasi im Auftrag des Staates besitzen und betreiben werden. Die Kosten des neuen Kraftwerksbaus und seines Betriebs dürften dann über die Netzentgelte auf die Stromrechnung der Verbraucher umgelegt werden.

2015/2016 noch nicht nötig

Die bayerische Wirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) hatte den Bau eines neuen Gaskraftwerks für Bayern bereits für den Winter 2015/2016 gefordert. Zu diesem frühen Zeitpunkt hält die Bundesnetzagentur den staatlich veranlassten Bau einer neuen Anlage allerdings für „äußerst riskant, wenn nicht sogar ungeeignet angesichts der zeitnahen Unwägbarkeiten, die bei der Projektplanung und -durchführung entstehen könnten“, heißt es im Bericht der Behörde: „Eine rechtzeitige Inbetriebnahme bis zum 31.12.2015 muss vor diesem Hintergrund als äußerst unwahrscheinlich eingestuft werden.“

Unter „Risikogesichtspunkten ist es deutlich vorzuziehen, die Versorgungssicherheit durch den kurzfristigen Abschluss von Netzreserveverträgen mit Bestandsanlagen abzusichern“, schreiben die Beamten von BNetzA-Präsident Jochen Homann. Für den darauf folgenden Winter 2017/18 reichen solche vergleichsweise milden Maßnahmen dann offenbar schon nicht mehr.

Quelle: DIE WELT